Nur die wenigsten wissen, dass unter dem „Grünen Weg“ eine Tropfsteinhöhle liegt. Zugänglich ist sie derzeit allerdings nicht, weil sie fast komplett unter Wasser steht.
Der Steinhauer Heinrich Beck hat wohl einen gehörigen Schreck bekommen, als er 1896 in seinem Tuffsteinbruch am „Grünen Weg“ unvermittelt auf einen tiefen Spalt stieß, der sich offensichtlich nach unten höhlenförmig erweiterte. Er nahm all seinen Mut zusammen, besorgte sich eine sehr lange Leiter sowie eine Laterne und stieg in den Spalt hinab. Schon nachdem er etwas mehr als sieben Meter abgestiegen war, erreichte er festen Boden. Im Schein seiner Laterne sah er, dass er sich in einer Höhle befand, in der riesige Tropfsteine von der Decke herabhängen und durch die ein kleiner, klarer Bach fließt.
Dass es diese Höhle unter dem Grundstück im Gewann „Felsenwiesen“ am „Grünen Weg“, nahe der Kunstmühle Künkele und der Baumwollspinnerei G. & A. Leuze gibt, war wohl niemand bekannt. Sonst hätten es die Erben des Uracher Bäckers Philipp Niethammer dem Käufer ihres Grundstücks, dem damals noch ledigen Müller Heinrich Beck aus Seeburg, bestimmt bei den Verkaufsverhandlungen im Jahre 1895 gesagt.
Beck erzählte zunächst niemand von seinem Fund, sondern erkundete in aller Ruhe „seine“ Höhle. Schließlich wusste er, dass die Höhle mindestens 25 Meter lang, fünf bis sechs Meter breit und ebenso hoch ist. Er bemerkte auch, dass aus einem tiefen Felsspalt ein kristallklarer Bach hervorquillt, der durch die Höhle fließt und dann geheimnisvoll wie er erscheint wieder in einer Felsspalte verschwindet. Am meisten begeisterten ihn aber die Tropfsteingebilde (Stalaktiten), die Decken und Wände schmücken.
Heinrich Beck beschloss, die Höhle für Besucher zu erschließen. Er schlug durch die Höhle einen Pfad, baute Stege mit stabilen Geländern und eine Brücke über den Bach. Vom Tuffsteinbruch her schuf er zudem einen bequemen Zugang. Die „Tropfsteinhöhle bei der Kunstmühle“, wie Beck nun seine Höhle nannte, war ab 1900 für das Publikum zugänglich, allerdings nur in Begleitung des Besitzers. Der Eintritt kostete für Einzelpersonen 30 Pfennige, für Angehörige von Gruppen 20 Pfennige.
Einer der ersten Besucher von auswärts war Julius Wais, der Verfasser der über Jahrzehnte für alle anderer unentbehrlichen Albführer. Er berichtete über Höhle, „die sich durch die Schönheit und Mannigfaltigkeit ihrer Gebilde in hervorragendem Maße auszeichnet“ ausführlich in den Blättern des Schwäbischen Albvereins, wobei er in blumigen Worten besonders die reich geformten Tropfsteingebilde an der Decke und an den Wänden beschreibt, die offensichtlich seine Phantasie beflügelten. Er schreibt unter anderem: „Gar täuschend zeigt sich eine gotische Kirchturmspitze, feingegliedert und durchbrochen. Belebt ist diese Zauberhalle von einem allerliebsten Wickelkind, einem Zwerg, früher wohl auch von einem Ritter, der seinen Panzer zurückgelassen. Träumerisch sitzt eine Eule auf einem Ast, während drüben zwei Elefanten neugierig ihren Rüssel hereinstrecken.“ Sei es drum. Jedenfalls bewog der Wais-Bericht viele Albvereinler die Höhle zu besuchen. In der Ausgabe seines Albführers von 1912 bezeichnet Julius Wais die Uracher Tropfsteinhöhle als „die schönste und eigenartigste Tuffhöhle der Schwäbischen Alb“, eine Aussage, die der Besitzer der Höhle später gerne in seinen Werbeanzeigen verwendete. Tatsächlich ist die Höhle eine der seltenen Kalktuff-Höhlen der Alb und ist damit auch geologisch interessant. Sie entstand nicht durch nachträgliche Auflösung des Gesteins, sondern schon während sich im Oberen Ermstal aus Kalktuff, den die Erms ausschied, über der Talsohle eine bis zu 25 Meter mächtige Kalktuffbarre aufbaute, im Wesentlichen durch Überwölbung eines Bachlaufs.
Trotz ihrer Besonderheiten und Eigenartigkeit wurde die „Uracher Tropfsteinhöhle am Grünen Weg“ überregional wenig bekannt. Sie wurde hauptsächlich von Einheimischen, von Uracher Kurgästen und natürlich von Schulklassen besucht. Besonders die Schulkinder waren von den phantasievollen Deutungen der Tropfsteingebilde des Höhlenführers Beck beeindruckt.
Nach dem Tode des Höhlenentdeckers Heinrich Beck übernahm sein Schwiegersohn Johannes Gaßner Steinbruch und Höhle. Zusammen mit ihm hat Redakteur Dr. Rudolf Eberling im Jahre 1957 die Höhle besucht. Er berichtet darüber: „Vom „Grünen Weg“ aus steigt man auf einem schmalen Weg in den Talgrund. Der Eingang gleicht dem zu einem Grubenstollen. Durch ihn hindurch betritt man gleich den ersten, kuppelartig gebildeten Raum. Wir stehen auf einem breiten Steg. Dumpf wird die Stimme. Die versteinerten Wände scheinen jeden Ton aufzusaugen. Unter uns gurgelt das Wasser. Wir stehen in der Höhle zugleich an einer Quelle, die reichlich Wasser gibt. Das Wasser verschwindet gleich wieder und läuft unterirdisch weiter. Erst bei der Kunstmühle Künkele kommt es zum Vorschein. In breiten Tropfen hängen die Steine über uns und an den Wänden des Kuppelraumes. Auf der rechten Seite nach hinten entdecken wir gänzlich versteinerte Baumstämme. Unter tief herabhängenden Steinen hindurch erreichen wir den zweiten Teil der Höhle. Auch hier stehen wir in einem kuppelartig gebildeten Raum, dessen Höhe und Seiten Tropfsteinbildungen in reicher Form und Gestalt aufweisen.“
Im Februar 1964 überflutete Schmelzwasser den alten Tuffsteinbruch am „Grünen Weg“ und die nahe dabei liegende Anlage der Trinkwasserversorgung für das Gebiet Georgiisiedlung-Baumwollspinnerei. Dabei drang auch Wasser in die Tropfsteinhöhle ein. Es gelang zwar den Steinbruch und die Trinkwasserverteilungs-Station trockenzulegen. Das Wasser in der Höhle floss aber nicht mehr ab. Der unterirdische, natürliche Abfluss zur Erms war zusammengebrochen.
Noch heute steht die Höhle fast vollkommen unter Wasser. Bei verschiedenen Tauchgängen wurde aber festgestellt, dass die Höhle noch vollkommen intakt ist. Der Bad Uracher Verschönerungsverein wollte deshalb die Höhle wieder begehbar machen, was aber bisher an den hierfür notwendigen hohen Kosten scheiterte. Noch ist das Vorhaben aber nicht zu den Akten gelegt. Vielleicht findet sich doch noch ein Weg, die „schönste und eigenartigste Höhle der Alb“ wieder für Besucher zugänglich zu machen.
Quelle : Südwestpresse