Als Repo und Rulaman von der Quelle zur Tulka zurückkamen, war ein Geschrei und eine Aufregung unter den Männern und Weibern der Höhle, wie in einem Krähenwald, den soeben ein Raubvogel heimgesucht hat. Weiber und Kinder, die während der Anwesenheit der Fremden scheu und staunend beiseite gestanden hatten, lärmten jetzt laut durcheinander. Jedes wollte erzählen, was es gesehen und gehört, vor allem aber drängten sie sich um jene, die so glücklich gewesen waren, die prächtigen Geschenke von dem Kalat zu erhalten. Ach, wie wunderbar strahlten diese Spangen, diese Ketten und gar der feine Goldreif für den Finger mit dem funkelnden roten Stein! Was waren dagegen ihre eigenen armseligen Halsketten aus Tierzähnen!

Alles, was der Druide Drohendes gesprochen hatte, schien vergessen. Der Glanz des Metalls blendete ihre Augen, und wahrlich, wir haben kein Recht, sie deshalb zu tadeln. Noch heute heißt es bei so vielen: „Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles.“

Nur die alte Parre und die Männer waren nicht bestochen durch den leuchtenden Schmuck.

„Gebt mir eure Kalatketten!“, reif sie Repo und Rulaman zu. Sie nahmen sie ab und warfen sie der Alten in den Schoß.

„Nun auch die Armspangen!“ Obu reichte sie ihr, auch den für Ara bestimmten goldenen Ring.

„Nun bringt mir einen Herdstein und ein gutes Beil!“

Mit grinsendem Lachen häufte sie die glänzenden Geschmeide auf dem Stein zusammen, nahm das eil und zerhieb und zerschmetterte sie unter Verwünschungen in tausend Stücke, raffte dann diese gierig mit den mageren Händen zusammen und warf sie über ihre linke Schulter hinter sich in den Wald. „Diese Zaubermittel werden uns keinen Schaden mehr tun!“, höhnte sie.

„Was habt ihr noch weiter von den Kalats?“

„Den Dolch“, antwortete Repo, „und ich werde ihn behalten.“

Die Alte richtete sich auf und blickte ihn forschend an. „Behalte ihn, du wirst ihn brauchen können. Aber es eilt nicht, warte deiner Zeit“, und leise zischend setzte sie hinzu: „Zuerst triff den Alten, den Weißen, ich hasse ihn.“ Dann wandte sie sich zu Obu: „Hüte deine Taube, Obu, dass nicht der fremde Sokol sie raubt. O, seid doch klug, ihr Aimats! Wie freundlich nahm er Abschied! Aber ihr müsst wissen: Das Gesicht des Kalat lacht, wenn sein Herz weint, und es weint, wenn sein Herz lacht. Und wenn seine Augen Liebe blicken, so hasst er, und wenn sie stolz ausschauen, so fürchtet er sich. Also müsst ihr auch tun, ihr Kinder, bis der Tag kommt, wo ihr die Fremden schlachten werdet wie die Turherde im Turhain – oder sie euch“, so schloss sie, von furchtbarer Aufregung erschöpft.

Dann hieß sie alle zurückgehen bis auf Repo und Rulaman, griff mit der Rechten nach der Hand Rulamans, mit der Linken nach der Repos und flüsterte leise: „Hört, was ich euch sage: Die Nallis und die Huhkas haben keine Männer. Sieben können nicht kämpfen gegen fünfzig und fünfzig. Aber List ist die Waffe des Schwachen. Ich will euch eine Geschichte erzählen, die geschehen wird in der Zeit der kurzen Tage. Sieben Aimtas jagen mit dem ganzen Heer der Kalats droben auf dem weiten Hofafelde. Auf Schneeschuhen gleiten alle dahin über die ausgedehnte Schneefläche. Es wird Nacht, eine dunkle, stürmische Nacht. Man eilt nach Hause. Die Aimats sollen den nächsten Weg zeigen. Sie zünden Fackeln an und fahren voraus. Ihr kennt den Hofafels, der hundert Manneslängen hinabstürzt in das Salatal. Dorthin fliegen mit Blitzesschnelle die Aimats, halten plötzlich an am Abgrund, werfen die Fackeln hinunter und springen beiseite. Das ganze Heer der Kalats aber stürzt den Fackeln nach, hinunter in den gähnenden Schlund.“

Repo antwortete nichts. Still brütete er über dem kühnen Plan der Alten. Rulaman aber reif ernst: „Nicht also, Großahne, das ist nicht meines Vaters Rul Stimme, die aus dir redet. Soll der Aimat beginnen mit Verrat und schlimmer sein als der Kalat?“

„O Kind“, lachte die Alte, „törichtes, gutes Kind“, und dabei streichelte sie liebkosend seine Stirn, „meines Lebens Länge ist mehr denn zwanzigmal fünf Sonnenkreise und deines noch nicht dreimal fünf. Doch was reden wir! Was geschehen soll, wird geschehen. Oder wer kann sagen: So tue ich und so wird es werden? Ist nicht alles schon zum Voraus geordnet? O, dass ich ihn sehen und fragen könnte, den großen Häuptling in der Walbahöhle, den Lenker aller Aimats, den Beherrscher der Sonne, des Mondes und der Sterne, der Wälder und der Auen und der Flüsse, der Tiere des Waldes und der Vögel und der Fische! Spricht er zum Aimat: ‚Weine!’ so weint er, oder ‚Lache!’ so lacht er, und wenn er zum Kalat sagt: ‚Tote!’ so tötet er. Aber der Aimat und der Kalat meinen, es sei ihr Wille, der alles ausrichtet.“

Rulaman war vor ihr niedergekniet und sah zu ihr auf wie zu einer Seherin.

„Erhebe dich, mein Sohn“, schloss die Alte, „tue, wie dein Vater Rul aus der Walba dir ins Ohr flüstert. Sah ich nicht einen strahlenden Reif von Sonnenstein um deine Stirn am Tage, da dich die Sonne zum ersten Mal küsste? Und ein Gewand um deine Schulter, wie die Farben des Sonnenbogens am Himmel, wenn es regnet? So wird es sein! Zwar meine Augen werden es nicht mehr sehen, aber ich werde mich darob freuen in der Walbahöhle.“


Die Kalats auf der Wanderung

Anderen Tags wanderten Repo hinüber in die Huhka zum Angekko. Als dieser von dem großen Zauberer im weißen Gewand hörte, wurde er sehr bedenklich. Was war er, der Angekko, neben diesem?

„Unsere Zeit ist aus“, rief er bestürzt. Doch ließ er sich dazu bereden, mit Repo zum Nargu zu gehen und mit ihm Rat zu pflegen.

Es war spät am Abend, als sie in der Nallihöhle ankamen. Den alten Nargu überraschte die Nachricht nicht. Er wusste schon alles. Großartig bewirtete er die beiden Häuptlinge in seinem Prachtgemach, und sie saßen dort die Nacht hindurch. Der Nargu wollte nichts von Feindschaft gegen die Kalats hören, in denen er halbe Verwandte sah. „Unsere Macht ist nichts gegen die ihrige“, sagte er, „und unser Volk wird viel lernen von ihnen und glücklicher und zufriedener sein. Es wird uns Häuptlingen leichter werden, über unsere Aimats zu herrschen, wenn sie sehen, wie der Kalathäuptling über sein Volk herrscht und dieses ihm gehorcht.“

Auch der Angekko wollte nichts von Kampf und Gewalt gegen die Kalats wissen.

Die alte Parre hat recht gehabt, dachte Repo. Es gibt keine Männer in der Huhka- und in der Nallihöhle. Er wagte nicht, den blutdürstigen Vertilgungsplan der alten Parre den beiden Häuptlingen mitzuteilen. Fürchtete er etwa Verrat? –

Kaum ein Monat war vergangen, so arbeiteten dreißig Nalli- und zehn Huhkamänner drüben im Nufatal.

Schon hatte dort die ganze Gegend ein verändertes Aussehen. Eine lange Reihe von runden Hütten stand am Stanabach. Ein großes Stück des schönen Wiesentals war aufgerissen zu schwarzem Ackerfeld. Dort hatten die Kalats Weizen gesät, um ernten zu können im Herbst. Jetzt arbeiteten alle zusammen droben auf dem Nufaberg. Dieser bot einen trostlosen Anblick. Das Feuer hatte ihn kahl gebrannt vom Fuß bis zum Scheitel, nur Asche und Kohle trieben im Wind umher, und traurig ragten da und dort die halb verkohlten Stämme der alten Eiben in die Luft.

Oben auf der schmalen Kuppe des Berges waren Hunderte von Menschen in geschäftiger Bewegung. Mit scharfen kupfernen Hacken arbeiteten sie tiefe Höhlen in den Boden hinein. Andere behauten Steine und überwölbten damit die Höhlen zu Kellern. Über denselben sollte das hohe Steinhaus des Häuptlings und des Druiden sich erheben. Schwere Felsblöcke wurden von den Pferden auf Holzschleifen herbeigezogen, ein Wunder für unsere Nallis und Huhkas. Schon sah man rings am Rand des geebneten Berggipfels eine Ringmauer entstehen, die die ganze Feste umfassen sollte.

Ahnungslos und unverdrossen arbeiteten die Nallis und Huhkas auf Befehl ihrer Häuptlinge mit an der Aufrichtung der neuen Zwingburg. Zwar die Arbeit war für sie schwer und ungewohnt; aber man gab ihnen Brot zum Essen, soviel sie wollten, und zwei Mal am Tag tranken sie aus hölzernen Bechern den braunen Kum, jenes Getränk, das die Karawanen dem Nargu gebracht hatten. Bald liebten sie es über die Maßen, denn es wärmte und stärkte sie und machte ihre Augen munter und glänzend. Auch neue, bunte Kleider erhielten sie von den Kalats, leichter und bequemer als ihre Fellkleider, und sie freuten sich an den schönen Farben. Vor allem aber zogen sie die häufigen, regelmäßig wiederkehrenden Feste zu den Kalats hin, denn schon diesen war immer der siebente Tag ein Ruhe- und Festtag. Da legten sie ihre besten Gewänder an. Ein Rind wurde geschlachtet und ein Teil davon von dem Druiden auf einem steinernen Altar als Opfer verbrannt, das übrige unter die Leute verteilt. Bis in die Nacht hinein wurde geschmaust, getanzt und gejubelt. Zu diesen Festtagen kamen auch die Weiber und Mädchen aus der Nalli- und aus der Huhkahöhle nach dem Nufaberg hinüber. Wie glücklich waren sie, wenn ihnen die Kalats einige Stücke farbigen Tuchs oder gar Ringe aus Sonnenstein oder hohle, schön verzierte Täfelchen, das heißt Münzen, schenkten.

Nur von den Tulkas arbeitete keiner auf dem Nufaberg, obgleich häufig Kalatboten hinüberkamen, um Wild, Pelze und Geweihe, an denen die Tulka Überfluss hatte, gegen Messer, Pfeil- und Lanzenspitzen und Schwerter aus Sonnenstein einzutauschen. Diese waren den Aimatjägern sehr willkommen. Weder Repo noch einer seiner Männer hatte bis jetzt den Nufaberg besucht. Wohl aber hatten sie seit dem Besuch des Kalathäuptlings vor der Tulka auf den Rat der klugen alten Parre ernstlich sich bemüht, die notwendigsten Worte der Kalatsprache von Ara zu erlernen. Es war ein ergötzliches Schauspiel, die wilden Männer öfters im Kreis um das schöne Nallimädchen herum sitzen zu sehen, um unter Lachen und Scherzen die fremden Laute zu üben und ganze Sätze nachzusprechen, was diesen begabten Natursöhnen überraschend schnell gelang.