Wie die Naturvölker heute noch und wie alle unsere Jäger, so waren auch jene alten Albbewohner an frühes Aufstehen gewöhnt. Mit der aufgehenden Sonne wurde es lebendig in der Tulka. Nur sechs Männer bewohnten dieselbe mit ihren Familien, alle Söhne eines Vaters. Aber da sie meist mehrere Frauen hatten, so belief sich die ganze Bevölkerung dennoch auf etwa fünfzig Köpfe. Der Raum in der Höhle reichte dazu vollkommen aus.

Der Eingang zur Tulkahöhle lag am Nordwestabhang eines steilen Berges, nahe dessen Gipfel, unter einem überhängenden Fels. Da war zunächst eine kleine Vorhalle. Dann versperrte ein mächtiges Felsstück den Weg nach innen und zwar so, dass rechts und links ein schmaler Pfad offen blieb, weit und hoch genug, dass ein Mann durchschlüpfen konnte. Hinter dem Felsblock stieg man einige Stufen hinunter, der Gang wurde enger und enger und dabei höher. Er wandte sich rechts, dann wieder links, und erst nach etwa hundert Schritten verbreiterte er sich auf einmal wie zu einer großen Halle.

Hier war es schon ganz finster, und hier war die eigentliche Niederlassung der Bewohner, wo sie besonders vor allen Unbilden der Witterung geschützt waren.

Der Boden war ziemlich eben, trocken und von der Natur mit Tropfstein gepflastert. An den Wänden hin sah man breitere und schmälere Vorsprünge, oft in langer Ausdehnung wie Galerien, dann wieder kleine und große Spalten und nischenartige Vertiefungen. Einzelne herabgestürzte Felsblöcke konnten als Tische, andere, kleinere, als Bänke dienen. Sie waren vielleicht absichtlich hierher gewälzt worden, langsam und mit Mühe, aber man hatte Zeit damals.

Die Temperatur blieb sich winters und sommers ziemlich gleich, etwas wie in unseren Kellern; der Heizung bedurfte das abgehärtete Volk nicht.

So war dieser von der Natur selbst ausgestattete Raum für die Begriffe unserer Aimats eine nicht nur erträgliche, sondern höchst wünschenswerte Behausung. Die Decke der wenigstens dreißig Fuß hohen Halle war mit großen, phantastischen Tropfsteingebilden verziert, aus denen die kindliche Einbildungskraft eines Naturvolkes sich die wunderbarsten Gestalten zusammensetzen konnte. Überdies war der geräumige Felsensaal durch kurze, vorspringende Felswände gleichsam in verschiedene Räume geteilt, so recht geeignet für die einzelnen Familien des Stammes.

Von diesem großen, weiten Raum aus setzte sich die Höhle, wieder zu einem Gang verengt, immer nach Südost fort. Nach etwa hundert Schritten bog man links um eine Ecke in eine zweite, aber kleinere Grotte, die den Eindruck eines Beinhauses machte. Hier lagen auf der einen Seite eine Menge Renntiergeweihe bunt durcheinander, viele noch mit dem Schädel daran, sodann lange Röhrenknochen von Renntieren und Pferden, Köpfe von Höhlenbären, einzelne Kinnbacken, auch ein schöner, mehr als mannslanger Mammutzahn, kurz, ein wahres Knochenmagazin.

Auf der anderen Seite dieser Grotte sah man zunächst einen ganzen Haufen Feuersteinknollen, von der Größe einer Faust bis zu der eines Kopfes; sodann Holzvorräte, die aber offenbar nicht zum Feueranmachen, sondern zu Werkzeugen bestimmt waren. Dickere und dünnere Stämme von Tannen, Eiben, Eichen, Hainbuchen, vom Schwarzdorn, Weißdorn, vom wilden Apfelbaum standen hier an der Wand herum. Es waren, mit Ausnahme de rTannen, lauter harte und zähe Hölzer, die sich für Bogen, Wurfspieße und Axtstiele gut eigneten. Einige besonders schöne, gerade Stämmchen hingen an Waldreben von der Decke herunter, offenbar, damit sie gerade blieben. Alle waren streifenweise geschält, damit sie nicht verbaumten, wie unsere Älbler sagen, das heißt nicht durch Pilze morsch werden. Weiterhin lagen in einer Ecke Büschel von Weiden und ein ganzer Haufen Waldreben, dicke und dünne. Diese Waldreben, unsere deutschen Lianen, waren als natürliche Seile von großer Wichtigkeit in dem Haushalt jenes Volkes.


Der Aimat-Töpfer

Das war die ganze Vorratskammer für ihr Gewerbe, einfach genug und doch vollkommen ausreichend, und ohne Zweifel hielten sich die Tulkamänner für sehr vorsorgliche Hausväter.

Hinter diesem Magazin verengte sich die Höhle. Nach einer kurzen Strecke trat man rechts in eine kleine Halle, die wieder andere Vorräte barg. Das war die Speisekammer für den Winter und für Zeiten der Not.

Hier waren in ziemlicher Höhe mehrere Stangen quer übergespannt, an denen Reihen von hölzernen Haken befestigt waren, um an diesem kühlen Ort, wohin nie Fliegen oder andere Fleisch verderbende Insekten gelangen konnten, frisches Wild und Fleischvorräte aufzuhängen.

Auch die Wände des kühlen Raumes waren überall benutzt. Da standen und hingen ringsum in den vielen weiten und engen natürlichen Nischen der Steinwände und auf den Vorsprüngen große und kleine, meist schüsselförmige Töpfe, roh und plump aus Lehm und etwas beigemengtem Sand gebildet und am Feuer gehärtet. Solche standen auch auf Stangen, die mit vieler Mühe, zwei, drei nebeneinander, an den Wänden entlang befestigt waren und so gleichsam Bretter bildeten. In diesen Töpfen wurden die Vorräte an ausgelassenem Fett von Bären und anderen Tieren, getrocknete Beeren, Haselnüsse, Baumfrüchte, zumal Holzäpfel und Holzbirnen, gewisse Baumrinden, Kräuter und Wurzeln, Rapunzeln, wilde Möhren, auch getrocknete, essbare Pilze und Flechten, zum Beispiel isländisches Moos, das damals in Menge auf der Alb wuchs, aufbewahrt. Die Pilze und Flechten waren besonders wertvoll. Man zerrieb sie zu einer Art Mehl, machte mit Wasser einen Teig und buk diesen mit Fett in Töpfen am Feuer.

Aber noch sind wir mit der Beschreibung der unterirdischen Wohnung jenes Völkleins nicht zu Ende.

Noch einmal verengte sich nämlich die Höhle und immer gegen Süden weiter wandernd, gelangte man wieder in eine Grotte, die wegen des beständig herabträufelnden Wassers zum Bewohnen und Aufbewahren von Vorräten unbrauchbar war. Umso wertvoller war sie als nie versiegende Wasserstube für die Fälle feindlicher Belagerung oder auch für den Winter, wo man oft wegen des mehr als mannshohen Schnees nicht zu der Quelle am Zickzackpfad gelangen konnte.

Für diesen Zweck waren in den Fußboden dieses Raumes flache Wasserbecken eingehauen, und das immerwährende Tropfen in diese Becken war es, wodurch das eintönige Geräusch hervorgebracht wurde, das man schon weit vorn, bald nach dem Eingang in die Tulka, vernahm.

Links von dieser Brunnenkammer folgte ein jäher Absturz nach Osten, dessen Boden bedeckt war mit knietiefem, rotem, weichem Lehm. Auch hier tropfte da und dort Kalkwasser von der Decke herunter, das oben noch beständig neue schöne Tropfsteine absetzte und den Lehm, den es bei seinem Durchsickern durch die Erde mitgenommen hatte, auf den Boden fallen ließ.

An diesem Ort war ein wunderbares Durcheinander aller möglichen Dinge. Zerbrochene oder ausgebrauchte Gerätschaften, Tierknochen, Reste von Mahlzeiten, kleine Fellstücke, kurz alles Abgenutzte und Unbrauchbare wurde dort hinunter geworfen, wenn unsere guten Leute den Weg bis zum Ausgang der Höhle zu unbequem fanden.

Und ist es nicht eine merkwürdige Fügung des Schicksals, dass gerade diese im Lehm der Höhlen eingebetteten Reste uns heutzutage fast allein Aufschlüsse über jenes uralte Volk geben, wie in Dänemark die Kjöggenmöddings in der Nähe des Meeres, mächtige Kehrichthaufen, bestehend aus Massen zerbrochener Muschelschalen, dazwischen zerbrochene Feuersteinmesser und Beile, Hornspitzen und Hornnadeln. Sie geben uns die einzige Nachricht über ein dortiges Urvolk, das unseren Höhlenbewohnern wohl am nächsten verwandt war und auch wohl ungefähr zu derselben Zeit lebte.

Doch zurück in die Wohnungshalle; auch sie und besonders ihre Wände müssen wir noch näher besichtigen. Überall in die Felsspalten, etwa mannshoch vom Boden, waren kürzere und längere hölzerne Zapfen und Haken eingesteckt. An den einen hingen Bogen und wohl gefüllte Pfeilköcher, letztere aus Tierfellen zusammengenäht oder aus Lindenbast geflochten; an den anderen Steinbeile und Speere; wieder an anderen waren die langen Unterkiefer der Höhlenbären mit Hilfe eines kleinen Riemens, der durch ein Loch gezogen wurde, befestigt. Das gab treffliche Spitzhämmer zum Aufhacken der Markknochen, indem der starke Eckzahn die Spitze bildete. Auch schwere Holzkeulen hingen dort.

Andere Pflöcke waren mit Kleidungsstücken, nämlich zusammengenähten Tierfellen, schwer belastet. Diese Felle waren nicht starr und steif, wie man denken könnte. Zwar hatten die Aimats noch keine Ahnung vom Gerben des Leders und der Pelze, aber durch Einreiben mit Fett und Tiergehirn machten sie diese Häute weich, geschmeidig und zugleich undurchdringlich für Regen.

Andere Felle – es waren dicke Bärenpelze – dienten als Nachtlager und bedeckten überall an den Wänden herum den Fußboden.


1 Kleine Steinsäge
2 und 3 Pfeilspitzen aus Bein, auch als Angeln brauchbar

Würden wir aber endlich noch einen Blick in manche der tiefen Wandnischen werfen, so fänden wir da erst die echten Kostbarkeiten des Haushalts. Da waren vor allem höchst merkwürdige Werkzeuge aus Feuerstein (Flint), der überall auf der Alb herum in großen Knollen sich fand. Aus diesem spröden, glasartig mit scharfen Kanten springenden Stein wusste jenes Volk durch geschicktes Schlagen, gewiss oft erst nach vielen misslungenen Versuchen, Werkzeuge herzustellen, längere und kürzere, die in der Mitte ziemlich dicke Splitter mit scharfen Rändern hatten. Dies waren ihre Messer. Viele hatten einen griff aus Holz, einige bessere sogar aus Renntiergeweih. Einzelne waren längs der ganzen Schneide hübsch regelmäßig gezähnelt, es waren Sägen. Andere gröbere Flintstücke in Form eines Beiles waren mit Riemen oder Baststreifen an einen Holzstiel gebunden, auch wohl in eine durchbohrte Hornscheide gefasst; sie dienten als Haubeile zum Holzhacken und zugleich als Waffen.

In den Nischen fanden sich weiter die verschiedensten Geräte aus Renntiergeweih und gespaltenen Knochen, große und kleine, dicke und dünne. Da waren starke, zugespitzte, die wohl als Dolche zum Kampf in nächster Nähe dienten, andere sehr feine, pfriemenförmige, einzelne sogar mit einem Öhr, die man zum Nähen benützte.

Daneben lagen Halsbänder aus glänzenden Tierzähnen. Sie waren mit viel Mühe durchbohrt und wie Perlen an feine Lederriemen gereiht. Besonders geschätzt wurden die Schneidezähne des Pferdes. Sie sollten dem Mann, der sie trug, die Schnelligkeit dieses Tieres verleihen.

Dagegen fand man in der ganzen Höhle keine Spur von Metallgerätschaften, kein Kupfer, keine Bronze, kein Eisen; nur Stein, Bein und Holz gaben den Aimats den Stoff zu ihren Werkzeugen.

Endlich musste auch für die Beleuchtung der Wohnung gesorgt sein. Ein Bündel Kienspäne war in der Mitte der Halle zwischen einigen schweren Steinen aufgerichtet. Diese Fackel glimmte und flackerte Tag und Nacht als ewiges Feuer. Die Beleuchtung war spärlich, doch ließ sie, wenn man einmal daran gewöhnt war, alles ziemlich deutlich erkennen. Die Lichtwirkungen an den zerrissenen und vielgestaltigen Wänden und an dem mit Tropfstein bedeckten Dach der Höhle waren höchst malerisch und erzeugten einen ewigen Wechsel von Licht- und Schattengebilden, deren Formen freilich durch beständig aufsteigende Rauchwölkchen verdunkelt wurden.

An diesen Gebilden mag sich jenes alte Volk schon erfreut haben. Dagegen war der beständige Rauch, der nach dem Ausgang der Höhle abziehen musste, schlimm für ihre Augen, und Augenleiden waren bei ihnen eine häufige und schmerzhafte Krankheit; daher rührte wohl auch die Gewohnheit der Aimats, die Lider halb zu schließen. Dies machte ihren Gesichtsausdruck, der sonst lebhaft und nicht unangenehm war, etwas blöde.

Andere, weniger peotische Zierraten, an der Sonne getrocknetes oder am Feuer geräuchertes Bärenfleisch und gedörrte Fische, hingen an der Decke.

Während des Sommers diente die innere Höhle nur für die Nachtruhe. Den ganzen Tag über, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, war man draußen. Anders im Winter, wo diese eben nicht kleine Gesellschaft oft mehrere Wochen lang Tag und Nacht hier lebte und webte, zusammen mit den zahmen Tieren, die Überfluss und Mangel, Glück und Unglück mit ihnen teilten.

Nun ist es nicht schwer, sich eine Vorstellung von dem bunten Gewimmel der Menschen und Tiere in der Höhle zu machen. Da sitzt eine Gruppe von Weibern beim Feuer, die mit dem Beinpfriemen, mit Tiersehnen als Faden, an Fellen nähen, die mit Glättbeinen auf einem flachen Stein, wie heute noch die Lappen, die harten Nähte glatt bügeln und sich dabei aufs lebhafteste über ihre Angelegenheiten, ihre Kinder, ihre Pelzkleider, ihren Schmuck, unterhalten.

Daneben sind einige junge Mädchen eifrig beschäftigt, das lange, schwarze Haar mit großen Kämmen zu strählen. Diese sind kunstvoll aus hartem Eichenholz geschnitzt, haben aber nur wenige Zähne. Mark aus Renntierknochen verleiht dem etwas groben Haar Geschmeidigkeit und Glanz, und nicht wenig Mühe wird schließlich auf den großen, korbförmigen Knoten verwendet, der von den einen oben auf dem Kopf, von den anderen mehr im Nacken getragen wird. Ein munterer junger Aimat plaudert mit ihnen, beleuchtet die Arbeit freundlich mit einem Kienspan, lobt bald den Haarknoten des einen, bald den des anderen Mädchens, um zuletzt sich über alle lustig zu machen.

Hier wälzen sich lachende kleine Kinder mit jungen Wölfen und Bären auf dicken Fellen behaglich am Boden herum.

Dort stehen einige Männer und erzählen sich ihre Jagdabenteuer, während andere an Feuersteinen klopfen, Wurfspieße und Pfeilschäfte glätten oder Renntiergeweihe schaben.

In einer Ecke aber sitzt die alte Parre und erzählt älteren Knaben und Mädchen grausige Geschichten aus alter Zeit: Von bösen Männern, die in Eulen, von bösen Weibern, die in Fledermäuse verwandelt worden waren, was die Baum- und Felsengeister bei Nacht treiben, wo die Stürme herkommen und der Blitz und der Donner; wie man die Giftschlangen fange, ohne gebissen zu werden, was man tun müsse, wenn man gebissen sei, und wie man das Blut und den Schmerz bei Verwundungen stille. Aber sie weiß auch, wie man aus den weißen Mistelbeeren, die auf den Eichen und Holzäpfelbäumen wachsen, den Vogelleim kocht, um Vögel zu fangen. Sie zeigt ihnen, wie man aus Waldreben, Riemen und Rosshaaren die Schlingen für große und kleine Haartiere und für Vögel macht. Sie weiß alles.

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