Ein deutsch-italienisches Künstler- und Filmteam klettert zu Dreharbeiten in die Falkensteiner Höhle. Conny und Joe vom Outdoor-Veranstalter Cojote aus Bad Urach begleiten sie dabei.

Wo genau das alles endet, weiß im Moment niemand. Nicht mal Verena Stenke, die das Kunstprojekt zusammen mit ihrem aus Venedig stammenden Mann Andrea Pagnes vor mehr als einem Jahr initiiert hat. Seitdem hat das heute in Neckarsulm beheimatete Künstler-Paar VestAndPage an die 20 Performer und Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern angeheuert, die jeweils etwas zu einem abendfüllenden Kunst-Film beitragen. Eventuell seien zudem virtuelle Performance-Schnipsel geplant, erklärt die 1981 in Bad Friedrichshall geborene Maskenbildnerin, Videokünstlerin und Theaterwissenschaftlerin. Was sich noch ergibt, ist offen. Ganz gezielt. Denn insbesondere Performance-Kunst ist nicht statisch, sondern muss fließen, sich entwickeln, in und mit der Umgebung.

Fünf Monate Drehzeit in Kleingruppen

Fest steht: Zwischen April und August 2021 sollen jeweils in Kleingruppen Performances, Theater, Tanz, Bildende Kunst und Musik in Höhlen der menschlichen Vorgeschichte auf Wissenschaft treffen. Bis Sommer 2022 soll der Film fertig sein. Name des Projekts, das Kunstschaffende und Forschende aus den Geistes-, Sozial- und Geowissenschaften zusammenführt, „um den menschlichen Körper als Ort in Kontinuität zum Geologischen zu untersuchen“, ist bislang „Strata“.

Gefördert durch „Neustart Kultur“

Die Finanzierung, das wissen Verena Stenke und ihr  1962 geborener Mann seit Dezember 2020, steht: „Strata“ wird durch das Programm „Take Action“ des Fonds Darstellende Künste im Rahmen von „Neustart Kultur“ aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördert – solche Zusagen sind essentiell im materiell chronisch klammen Kunstbetrieb.
Wobei Verena und Andrea, die sich 2006 in Berlin kennenlernten, dank vielfältiger jahrelanger Erfahrung im Festival-Bereich diesbezüglich zumindest ganz genau wissen, was sie tun. Also, welche Töpfe sie anzapfen können. Ihre Arbeit als VestAndPage, die sie etwa bereits nach Patagonien und in die Antarktis führte, wurde schon vielfach ausgezeichnet.

Es geht um Mensch, Zeit und Natur

Ihr jüngstes Projekt nun beleuchtet „Tiefenzeit und Erinnerungsschichten in der Menschheitsgeschichte und dem Geologischen“, erklärt Stenke. Für Pagnes – Literat, Glasskulpteur und einstiger Assistent von Yoko Ono bei der Venedig-Biennale – ist dies „eine Art Traum“. Er liebe die Landschaft der Schwäbischen Alb. „Für ,Strata’ nutzen wir unsere ökologische Intelligenz, um diesen Raum, die Natur, zu ehren. Nicht, um ihn zu infizieren“ – und damit letztlich zu zerstören. Nur diese Ehrerbietung erlaube es, den „ewigen Fragen“ nach dem Woher und Wohin des Menschen näher zu kommen. Nichts weniger als das will das Künstler-Paar letztlich mit diesem Projekt. Mehr solle nicht verraten werden, sagt Verena, die neben Marcel an jenem Tag die Filmkamera führt.

Kooperation mit Museen, Uni und Kunstvereinen in drei Ländern

Realisiert wird der Film in Zusammenarbeit mit dem Museum für Urgeschichte (Urmu) Blaubeuren, dem Museum Ulm, Cojote Outdoor Bad Urach, dem Forschungsnetzwerk „Rock/Body“ der britischen Universität Exeter sowie den Kulturvereinen Entr­Axis (Neckarsulm), Studio Contemporaneo und Live Arts Cultures (Venedig).
Gedreht werden soll außer in der Falkensteiner und der Gustav-Jakob-Höhle bei Grabenstetten (Kreis Reutlingen) auch in anderen Höhlen der Schwäbischen Alb, etwa im Lone- und Achtal (Alb-Donau-Kreis). Dort also, wo Menschen vor mehr als 40 000 Jahren mit dem Löwenmenschen und der Venus vom Hohle Fels die ältesten bislang bekannten Kunstwerke der Welt schufen.

Auf den Felsen liegt noch Schnee

Klamm und kalt ist es am ersten Drehtag, da hilft alle Vernetzung, Erfahrung und monetäre Absicherung nichts. Am Donnerstagmorgen herrscht um die Null Grad Celsius. Die Bäume rund um den Wanderparkplatz zwischen Bad Urach, wo das vierköpfige deutsch-italienische Künstler-Team während der Dreharbeiten untergebracht ist, und Grabenstetten sind kahl; die Felsen und Hänge etwas weiter oben von einer zarten Schneeschicht bedeckt.
Alle vier zwängen sich unter den aufmerksamen Augen von Höhlenführer Jochen Hintz, genannt „Joe“, in die haut­engen Neoprenanzüge, die jener zusammen mit Constanze Krauss, Musiktherapeutin und Mitinhaberin  des Outdoor-Veranstalters Cojote, gerade aus dem geländegängigen Transporter geladen hat.
Conny überlegt angesichts der bibbernden Anziehakrobatik, die sie umgibt, was wohl „Presswurst“ auf Englisch heißt: Sausage? Michelin-Männchen? Gelächter. Die Kommunikation in diesem ansteckend fröhlichen Team verläuft auf vier Ebenen: auf Englisch, Deutsch, Italienisch und in spontan improvisierter Gebärdensprache. Eine gute halbe Stunde später führt sie die Künstler und Filmleute in den glitschigen, düsteren Untergrund.

„Bitte kein Notfall!“

Der Rettungsassistent und ehemalige Radrennsportler Joe mahnt, die Gruppe möge doch bitte im Lauf dieses Tages keinen Notfall verursachen – und geht dann milde kopfschüttelnd zurück zum Parkplatz: Er verstehe ebensowenig wie der Grabenstetter Bürgermeister, was bei diesem Projekt entstehen soll. Aber die künstlerisch ambitionierten Gäste, mit denen der Kontakt vor rund einem Jahr zustande kam, findet er super.
Am Eingang der Höhle steht derweil die blonde Francesca Fini im Licht der Stirnlampen. Als erste Künstlerin wird ihr Beitrag in dieser ehemaligen Goldgräberhöhle auf die Kamerachips gebannt. Dazu begibt sich die Römerin im Neoprenanzug, Helm und Gummistiefeln zum ersten Mal überhaupt in eine Höhle. Sie fürchte die Kälte, gesteht sie.

Erste Schritte hinein ins Abenteuer

Davor schützt sie auch die Kunstfigur nicht, die sie für ihre Performance ersonnen hat: der Cosmo-Hase. Um als „Cosmo-Rabbit“ eine Geschichte zu erzählen, schmückt sie das wärmende Neopren-Outfit mit LED-Leuchten und setzt sich eine aus Spiegelsplittern gestaltete Maske auf.
Was genau dann geschieht, weiß in jenem Moment wohl auch sie selbst noch nicht. Francesca lässt den „magischen Ort“ auf sich wirken – „bellissimo!“ Und winkt dann die Gefährten hinter sich her in Richtung des blubbernden  Schlunds: „Andiamo, ragazzi!“ Auf geht’s, Leute! „Die nächsten sechs Monate werden ein Abenteuer.“ Da ist sich auch ihr 3D-Tanzpartner Andrea sicher.