Ein Jahr nach der Rettung zweier Männer aus der Falkensteiner Höhle, hat sie ihren Reiz nicht verloren. Seit dem Ende der Corona-Pause Mitte Juni stehen die Abenteurer wieder Schlange.

Je enger er sitzt, desto wärmer hält er“, ruft Constanze Krauß in die Runde. Die achtköpfige Gruppe, die sich gerade auf einen Gang in die Falkensteiner Höhle vorbereitet, hört ihren fast schon entschuldigenden Hinweis mit nur einem Ohr. Im Sitzen oder kopfüber nach vorne gebeugt, versuchen sie sich gerade irgendwie in die engen Neoprenanzüge hineinzuzwängen. „Da kommt man ja schon ins Schwitzen, bevor man überhaupt losgegangen ist“, ächzt eine Teilnehmerin im Scherz. Trotz der Mühsal herrscht an diesem sonnigen Sonntagnachmittag erwartungsvolle Aufbruchstimmung auf dem voll belegten Waldparkplatz zwischen Grabenstetten und Bad Urach. Der Platz ist Ausgangspunkt für Spaziergänge und Wanderungen, aber eben auch für jene Abenteurer, die den Bauch der Schwäbischen Alb mittels einer geführten Tour erkunden wollen.

Anzüge und Helme aus dem Auto

Aus diesem Grund haben Constanze Krauß und ihr Lebensgefährte Jochen Hintz, wie derzeit jedes Wochenende, ihren firmeneigenen Kastenwagen dort abgestellt. Vor sechs Jahren haben sich die beiden ausgebildeten Höhlenführer auch beruflich zusammengetan und die Firma „Cojote-Outdoor-Events“ in Köngen gegründet. Inzwischen umgezogen, hat der Kojote nun in Bad Urach seinen Heimatbau. Neben weiteren Angeboten haben sie sich insbesondere auf mehrstündige Touren durch die Falkensteiner Höhle spezialisiert. Ihr Wagen mit dem stilisierten Präriewolf dient vor Ort  gleichzeitig als Treffpunkt und als fahrendes Materiallager. Darin säuberlich aufgereiht hängen die Neoprenanzüge in verschiedenen Größen, hier gibt Jochen Hintz die passenden Neoprensocken, Helme samt Beleuchtung aber auch den einen oder anderen Tipp an die Gäste weiter. Die Gruppe, die sich gerade aufmacht, ist nur eine von mehreren an diesem Wochenende, die vorab eine Tour gebucht hat und sich dem Nervenkitzel hingeben möchte.
Für sie geht es rund 500 Meter hinein in die einzige wasserführende Höhle Deutschlands, in der geführte Touren überhaupt möglich sind. „500 Meter klingt nach wenig, das ist aber was anderes wie draußen“, versammelt Constanze Krauß die Gruppe um sich, als sie am imposanten Portal der Falkensteiner Höhle angekommen ist. Bereits hier weht ein kühler Windhauch aus jenem dunklen Loch, in das sie bald verschwinden werden. Im Inneren der Höhle herrschen, sommers wie winters, konstant neun Grad Lufttemperatur.

Unter Wasser zur „Reutlinger Halle“

Schnell werden noch ein paar Gruppenfotos geschossen, die Stirnleuchten werden ein letztes Mal getestet, ein paar Instruktionen folgen, ehe es vorbei an mächtigen Felsbrocken in gebückter Haltung durch den Demutsschlund und hinein in die steinerne Finsternis geht. Vor den Teilnehmern liegt eine Strecke, die über lehmigen Felsboden führt, durch schmale Passagen oder durch hüfthohes Wasser. Die letzte und gleichzeitig fordernste Mutprobe wartet indes kurz vor dem Wendepunkt der Tour. Tauchend müssen rund vier Meter durch das nur sieben Grad kalte Wasser der Elsach zurückgelegt werden. Ein Seil bietet dabei Halt und Orientierung. Ist der erste Siphon der Höhle absolviert, ist die „Reutlinger Halle“ schon fast erreicht.
Am 28. Juli 2019 erlangte jene „Reutlinger Halle“ bundesweite Berühmtheit. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr saßen dort ein Höhlenguide und sein Gast fest, nachdem der Wasserspiegel in der Höhle infolge schwerer Unwetter und entsprechenden Niederschlägen rapide stieg. Den beiden Höhlengängern war der Rückweg abgeschnitten, die aufwendige Rettungsaktion rief rund 90 Helfer auf den Plan. Erst am folgenden Tag konnten die beiden Männer schließlich befreit werden – beobachtet von zahlreichen Reporterteams und Übertragungswagen aus dem gesamten Bundesgebiet.

2019: Alarm nach Überflutung

Just an diesem Unglückstag war auch Jochen Hintz in der Höhle, allerdings bot er wegen den Wetteraussichten nur Touren bis zum ersten Siphon an. Auf dem Rückweg aus der zunehmend überfluteten Höhle brachte Hintz geistesgegenwärtig noch ein zusätzliches Seil im Demutsschlund an, um der Höhlenrettung die Arbeit zu erleichtern. Denn, dass eine Rettung der in der Höhle verbliebenen Männer notwendig sein würde, war ihm damals schnell klar. Aus dem gemächlich gurgelnden Geplätscher in der Höhle war ein fauchender und reißender Strom geworden. Hintz war es auch, der den ersten Alarm absetzte. Weil er an der Höhle selbst keinen Handyempfang hatte, fuhr der damals 48-Jährige extra hinauf nach Grabenstetten, wie er heute erzählt. In den kommenden Tagen fand sich Hintz so in einer ungewohnten Rolle und als Ansprechpartner zahlreicher Medien wieder. 30 Interviews in zwei Tagen absolvierte der Höhlenexperte, dem schnell das Prädikat Lebensretter verliehen wurde. Schon damals winkte Hintz ab: „Ich habe nur das gemacht, was in meiner Macht steht.“
Der zunächst festsitzende Tourenanbieter aus Göppingen sah sich in den folgenden Wochen derweil scharfer Kritik ausgesetzt, trotz der geltenden Unwetterwarnungen so weit in die Höhle vorgedrungen zu sein. Unter anderem warf ihm Jochen Hasenmayer, Deutschlands wohl bekanntester Höhlenforscher, vor, sich ungenügend vorbereitet und die Wetterbedingungen missachtet zu haben. Hasenmayer kennt die Falkensteiner Höhle und ihre Eigenheiten wie kein anderer. Als erster Mensch überhaupt gelang es ihm, sie bis zu einer Tiefe von rund fünf Kilometern zu erforschen. Wie weit sich das Höhlensystem noch durch den Fels zieht, blieb aber selbst ihm verborgen. Eines aber wusste er im Gespräch mit dieser Zeitung sicher: „Wenn Regen angesagt ist, ist die Höhle nicht passierbar.“ Für Jochen Hintz und Constanze Krauß gehört deshalb ein Blick aufs Wetterradar zur Vorbereitungsroutine ihrer Höhlengänge schon immer dazu.

Fahrlässigkeit muss jetzt abgedeckt sein

Auch die Gemeinde Grabenstetten, zu deren Gebiet die Höhle zählt, hat auf den Vorfall reagiert. Von Tourenanbietern wird nun neben einem Versicherungsnachweis auch eine gesonderte Bestätigung verlangt, in der sich die Versicherung bereit erklärt, auch im Fall von Fahrlässigkeit die Kosten einer Bergung zu zahlen. Wie schon zuvor müssen die Anbieter die Namen ihrer Guides sowie deren Erfahrungen auflisten. Ein spezieller Nachweis über Qualifikationen wird jedoch nicht verlangt.
„Leider nicht“, wie Hintz bedauert. Denn die Höhle, so betont er, sei kein Kinderspielplatz. In den vergangenen Jahren kam es dort immer wieder zu Notlagen. Nicht von Ungefähr wird die Falkensteiner Höhle als wilde Höhle bezeichnet. Selbst kennt Hintz die „Falki“, wie sie manchmal auch genannt wird, fast schon auswendig. Über 1000 Mal, so überschlägt er, hat er sie schon verschieden tief begangen. Neues gibt es für ihn und andere trotzdem zu sehen. Nach dem Unglücksfall im vergangenen Sommer wurde in der „Reutlinger Halle“ eine Notfall-Box angebracht. Unter anderem hält sie ein Wärmezelt und ein wenig Proviant vor. An der Popularität der Falkensteiner Höhle haben die Vorkommnisse des vergangenen Jahres derweil nicht gerüttelt. Derzeit gebe es sogar mehr Anfragen als zuvor, wie Hintz erklärt. Das Interesse aus dem bundesdeutschen In- aber auch europäischen Ausland übersteige derzeit die Kapazitäten, weswegen Hintz und Krauß momentan auch Absagen verteilen müsse, um die Gruppengröße auf maximal acht Teilnehmer pro Tour begrenzen zu können.
Ob der Ansturm an der medialen Präsenz im vergangenen Sommer liegt, oder am Umstand, dass die diesjährige Höhlensaison nicht schon am 1. April, sondern wegen Corona, erst am 15. Juni begonnen hat und viele den Urlaub lieber zu Hause verbringen möchten, darüber kann Hintz nur spekulieren. Neben einem Sicherheits- verfügt das Unternehmen nun jedenfalls auch über ein Hygienekonzept.
Möglich scheint auch, dass der Popularitätsschub am Outdoor-Award Baden-Württemberg liegt, den die Cojote-Höhlentouren Anfang des Jahres zusammen mit der Tourismusgemeinschaft Mythos Schwäbische Alb verliehen bekamen. Laut Jury-Urteil verbinden sich mit ihnen besondere Outdoor-Erlebnisse mit behutsamer Nachhaltigkeit und Naturschutz.

Nachhaltige Eindrücke inklusive

Vom Blick über den eigentlichen Höhlenrand hinaus profitierte auch die Gruppe, die sich an jenem Sonntag in den rauschenden Bauch der Alb gewagt hat. Von Constanze Krauß hörten sie Wissenswertes unter anderem über die Geologie der Landschaft, über die Geschichte des Goldrauschs oder über jene Rußspuren an den Höhlenwänden, die gar keltischen Ursprungs sein könnten. Sie machten die Erfahrung absoluter Dunkelheit oder verpassten sich eine Gesichtsmaske aus Höhlenlehm.
Eindrücke und Erlebnisse, die länger nachwirken dürften, als jene drei Stunden, die die Höhlengänger unbeschadet im Untergrund verbracht und währenddessen ein anderes Gefühl für Raum und Zeit entwickelt haben. Als sie erschöpft aber glücklich wieder zurück im Licht und auf dem Waldparkplatz angekommen waren, wartete allerdings noch eine letzte Herausforderung auf sie, mit der sie so nicht gerechnet hätten. Denn so schwer es ist, sich in die engen Neoprenanzüge hineinzuzwängen, so schwer ist es eben auch, sich wieder aus ihnen zu befreien.

Zutritt nur mit Guide oder Genehmigung

Die Falkensteiner Höhle ist eine aktive Wasserhöhle, die von der Elsach durchflossen wird. Lediglich die ersten 20 Meter können mit Helm und Taschenlampe begangen werden. Das weitere Vordringen in die Höhle ohne Guide ist nur mit einer Genehmigung der Gemeinde Grabenstetten erlaubt.