Da die Mehrzahl der Männer nach Ruls Ruf „Zurück!“ wieder hinaufgeklettert war, hatte es sich so getroffen, dass nur Tulkamänner, die ihrem Häuptling zuerst gefolgt waren, mit dem stürzenden Baum hinunter kamen. Alle Huhkas waren oben. Dies freute Rul und die Seinigen nicht wenig. Nun war kein Zweifel, dass wenn auch nicht alles Fleisch, so doch die Siegesdenkzeichen, nämlich die Köpfe und die Felle der beiden Raubtiere, in die Tulka kamen, da sie allein die Beute erlegt hatten.
Nunmehr wurde ein mächtiges Feuer angemacht, das die ganze Schlucht weit herum fast taghell erleuchtete.
Zunächst schnitten sie dem Bären die vier Tatzen herunter, zogen den Pelz davon und rösteten die Leckerbissen am Feuer. Rul hatte seit dem vorigen Morgen nichts genossen, aber der köstliche Braten wollte ihm nicht munden ohne seinen wackeren Jungen.
„Rulaman!“, rief er hinauf, „sage den Freunden, sie sollen dich an Seilen herunterlassen.“
Nicht lange und der Knabe schwebte über dem Abgrund an einem Tau, das die Huhkamänner oben festhielten, und an dem er langsam herunterrutschte.
„Halte dich mit deinem Beil vom Felsen ab“, rief Rul hinauf, „sonst schneiden die scharfen Kanten das Seil entzwei.
Hoch oben auf dem Löwen stand der Vater. Mit ausgestrecktem Arm empfing er den schwebenden Knaben und setzte ihn, wie auf einen Hochsitz, auf den weichen, noch warmen Pelz des Bären nieder. Der Junge schauderte einen Augenblick, dann aber blickte er stolz um sich und ließ sich ein Stück Bärentatze, das man ihm hinaufreichte, trefflich schmecken.
Ernst redete Rul ihn an: „Rulaman, das ist der Mörder deines Ahns. Du bist gerächt, Vater! Endlich, endlich darf uns die alte Parre nicht mehr schmähen. O, wie würde sie jauchzen, wenn sie jetzt hier sein könnte! Schade, dass es die Zeit des grünen Laubes ist. Wäre es die Zeit der kurzen Tage, so würden wir den ganzen Burria auf dem Schlitten nach Hause schaffen, und wenn wir drei Tage brauchten!“
Wie konnte Rul mit solcher Sicherheit gerade diesen Löwen als den bezeichnen, der vor mehr als dreißig Jahren seinen Vater zerrissen hatte? Und doch war es ohne Zweifel so. Der alte männliche Löwe hat immer sein ganz bestimmtes Jagdrevier; es erstreckt sich meilenweit, und er duldet keinen anderen darin. So war auch jener Burria wohlbekannt und weithin gefürchtet. Schon seit Jahrzehnten lebte er hier, allein, ohne Weibchen, der letzte seines Stammes in dieser Gegend.
Nach beendigtem Mahl kam eine schwere Arbeit, das Zerlegen der Tiere. Beide waren Riesen ihrer Art. Der Löwe maß, ausgestreckt wie er dalag, von der Schnauzenspitze bis zur Schwanzwurzel beinah zwei Mannslängen. Der Bär kam ihm an Länge nahezu gleich, während er ihn vermöge seiner plumpen, breiten Gestalt an Körpermasse und Gewicht noch übertraf.
Sehr eigentümlich war das Fell des Burria, ganz abweichend von dem unserer heutigen großen Katzen, des Löwen, des Tigers, des Panthers und des Jaguars.
Schon die Farbe war eine ganz andere.
Wie eine genauere Beobachtung immer mehr zeigt, stimmend ie Farben der meisten wilden Tiere trefflich zu ihrer Umgebung. Nur so können sie ihre Beute überraschen. Deshalb ist der Bär des Nordens weiß wie Schnee und Eis, auf denen er dem Seehund auflauert. Der Löwe in Afrika ist gelblich wie der Wüstensand der Sahara, auf dem er die Antilope anschleicht. Der bengalische Tiger ist gelb mit senkrechten schwarzen Streifen. Er lauert im Dschungelgebüsch der großen asiatischen Flüsse auf die zur Tränke kommenden Antilopen, Hirsche und Büffel. Dem dort herrschenden gelblichen Halbdunkel entspricht die gelbe Grundfarbe seines Fells, und die senkrechten Streifen ahmen die aufrecht stehenden Rohre nach. Von dem bunt gefleckten Panther wissen wir, dass man dieses kühne Raubtier an einem Felsen oder auf einem Baum in Abessinien schon in geringer Entfernung kaum zu sehen vermag, so genau stimmt sein gelbes, schwarz geflecktes Fell zu den mannigfaltigen Farben, den Licht- und Schattenwirkungen der Blätter und Blumen und überhaupt der Pflanzenwelt, die ihn umgibt. Ähnlich ist es bei dem Jaguar in Brasilien.
So musste auch die Farbe unseres deutschen Höhlenlöwen seiner Umgebung entsprechen, dem düsteren Waldesdunkel, in dem er sich gewöhnlich aufhielt, und den gelbgrauen Tönen der Heidefläche des deutschen Hochgebirges, wenn er im Freien jagte. Sie war ein Gemisch aus Gelb, Braun und Schwarz, am ähnlichsten wohl der Farbe des Wolfes.
Sein Pelz war nicht glatt, kurzhaarig, glänzend, wie der des Löwen, des Tigers und der meisten Tropentiere, sondern dick, kraus, wollig und warm für den langen deutschen Winter. Daher wurde das Fell hoch geschätzt bei den Aimats, umso höher, weil das Tier sehr selten geworden war und noch seltener ein Angriff auf es gewagt wurde. Eine eigentliche Mähne von welligen, fließenden Haaren, wie der heutige Löwe, hatte der Höhlenlöwe nicht, wohl aber war vermutlich der wollige Pelz, wie bei dem deutschen Wisent und dem nordamerikanischen Bison, auf Kopf, Hals und Schultern von außerordentlicher Länge und Dicke, so dass die Gesamtfigur, die viel bedeutendere Größe ausgenommen, dennoch unseren heutigen Löwen nicht unähnlich war.
Vor allem geschätzt als höchster Schmuck des Mannes waren die furchtbaren Eckzähne dieses Raubtiers sowie seine mächtigen Krallen. Beide waren fast doppelt so lang wie die des heutigen Löwen.
Wenn wir bedenken, dass der heute lebende, etwa sieben bis acht Fuß lange Berberlöwe mit einem halberwachsenen Rind im Maul noch über den fünf Fuß hohen Dornenzaun des Negerkrals springt, wie groß muss dann die Stärke des deutschen Höhlenlöwen gewesen sein!
Es war ein schweres Stück Arbeit, das große Tier zum Abhäuten auf den Rücken zu legen, die vier Beine in die Höhe zu richten, auseinander zu ziehen und festzuhalten. Letzteres geschah mit Seilen, die man an schwere Steine, oder was immer in der Nähe war, festband. Nunmehr wurde erst der Längsschnitt über Hals, Brust und Bauch geführt, dann vier Schnitte in die Quere, je einer von der Mittellinie an der Innenseite jedes Fußes entlang bis zu den Pratzen. Um die Schnitte durch ein solches Fell mit einem Feuersteinmesser zu führen, dazu gehörte freilich die fast tägliche Übung dieser Leute im Abhäuten von Wild. Nachdem die Schnitte gemacht worden waren, konnten leicht vier Männer zugleich weiterarbeiten.
Auch beim eigentlichen Abziehen benutzten die Aimats zunächst das Feuersteinmesser; dann aber, wenn sie einen Lappen fassen konnten, ein anderes eigentümliches Werkzeug, ein unten und oben abgerundetes Stück Renntiergeweih; mit ihm und der Faust drückten sie das Zellgewebe zwischen dem Fell und den Muskeln durch und machten so große Stücke der Haut auf einmal frei. Wo dies nicht weiter ging, half das Feuersteinmesser wieder nach.
In weniger als einer Stunde war der Löwe abgetan. Auffallend war bei dieser Arbeit das lustige, übermütige Geplauder der Männer, womit sie den toten Löwen, vor dem sie, solange er lebte, entsetzliche Furcht gehabt hatten, verhöhnten.
Der ganze Kopf, die vier Pratzen und der buschige Schwanz blieben am Fell. Und der in Tat, ein wahres Prachtstück war dies, wert, nicht nur die armselige Wohnung des Höhlenmenschen, sondern einen Fürstensaal zu schmücken. Der abgezogene Körper wurde liegen gelassen. So sehr sich die Aimats sonst alle Teile des Wildes bis auf die Knochen hinaus zu Nutzen machten, berührten sie doch das Fleisch des Höhlenlöwen nicht; es herrschte der Aberglaube unter ihnen, dass die Seelen der Vatermörder nach ihrem Tod in diesen mordgierigen Katzen wohnen müssten. Auch mögen sie Abscheu gehabt haben vor dem Fleisch eines Tieres, das so viele Menschen gefressen hatte.
Während die Leute sich an den Bären machten, um an ihm dieselbe Arbeit zu tun, trat Rul nochmals zu dem Körper des Löwen und untersuchte genauer die Wunden. Leicht fand er die von den vier Wurfspießen, die das Tier anfangs getroffen. Es waren alles nur Fleischwunden, zwei auf der Seite zwischen den Rippen, eine in der Schultergegend und die vierte in dem mächtigen Nackenmuskel. Diese Wunden hatten nur schwach geblutet. Dagegen hatte die Pfeilwunde eine furchtbare Wirkung gehabt. Der ganze Hals war schwarzrot mit Blut unterlaufen. Der Pfeil war hart am Leib abgebrochen, vielleicht erst bei dem Sturz des Tieres in den Abgrund hinunter. Fast die ganze Hälfte, ein zwei Fuß langes Stück, steckte noch im Leib und konnte von Rul nur mit Anstrengung herausgezogen werden. Der Pfeil war gerade von vorn in den unteren Teil des Halses eingedrungen und hatte sich, weil er vom Baum herab geschossen war, tief in die Brusthöhle und in die Lungen des Tieres eingebohrt; daher war auch sein Rachen voll Blut.
Das alles zeigte Rul seinem Sohn, der wissbegierig dabeistand und alles aufs aufmerksamste verfolgte. „Unsere vier Wurfspieße“, sagte er zu ihm, „haben den Burria nur gekitzelt. Repos Pfeil allein hat ihm den Tod gebracht. Auch deine Beilhiebe, Rulaman, haben keine Spur am Kopf zurückgelassen. Den Burria hast du nicht getötet, aber deinem Vater hast du das Leben gerettet.“ Mit leuchtenden Augen hörte der Knabe zu, ohne ein Wort zu erwidern.
Dann brachte Rul seinem Bruder Repo, der das Abbalgen des Bären leitete, die blutige, abgebrochene Pfeilspitze und sagte laut, damit es alle hören sollten: „So tief steckte dein Pfeil in der Brust des Burria; dir gehören seine Zähne.“ Repo brach das Stück Holz ab und bewahrte sorgfältig die beinerne Pfeilspitze. Denn eine Waffe, mit der man besonderes Jagdglück gehabt hatte, galt auch fernerhin fast für unfehlbar, wurde daher sehr hoch geschätzt und auf Kind und Kindeskind vererbt.
Die Tulkamänner hatten die Abhäutung und die vollständige Zerlegung des Bären in vier mächtige Stücke, zwei Vorder- und zwei Hinterhälften, vollendet und sich eben daran gemacht, einen Teil der Eingeweide, Herz, Leber und Magen zu braten, als von der linken Seite, vom Wald her, endlich die Huhkamänner mit dem Angekko erschienen.
Natürlich hatte es den Alten nicht wenig verdrossen, dass er mit seinen Leuten bei dem wichtigen Geschäft des Abhäutens und Zerteilens nicht zugegen sein konnte. Er fürchtete, jetzt bei der Verteilung der Beute zu kurz zu kommen. Er war ein Feinschmecker und liebte die fetten Bärentatzen über alles. Diesmal war ihm nur der Duft derselben von unten herauf in die Nase gestiegen, und deutlich konnte er von oben herab die anderen schmausen sehen. Seine Leute hatten ihm vorgeschlagen, ein Seil oben an einem Fels zu befestigen und sich alle, einer nach dem anderen, hinab zu lassen. Davon wollte der Angekko, der sehr viel auf sein Leben hielt, nichts hören. Auch schien es ihm, dem großen Zauberer, unwürdig, an einem Seil in der Luft zu schweben. So mussten die Huhkamänner mit ihm einen weiten Umweg nach der linken Seite einschlagen, und dies war die Ursache, dass sie so spät erst unten auf dem Schauplatz erschienen, glücklicherweise aber noch zeitig genug, um an dem eigentlichen Bärenschmaus teilzunehmen, der jetzt beginnen sollte.
Rul breitete das Bärenfell auf dem Boden aus und forderte den Angekko auf, Platz zu nehmen. Hinter ihn setzte sich sein Mann mit dem Uhu, Rul ihm gegenüber und Rulaman zischen beiden.
Lange dauerte wieder der Schmaus, und aufs freundschaftlichste bewirteten die Tulkamänner ihre Nachbarn mit dem köstlichen Braten.
Das erste Stück vom Herzen gebührte natürlich dem Angekko. Dieser hinwiederum gab den ersten Bissen seinem Uhu, den er jetzt auf seine Schulter genommen hatte und an dessen ernsthaften Mienen und Uhurufen sich Rulaman ergötzte. Der Vogel musste sehr hungrig sein, denn hastig griff er nach dem Stück, sträubte nach Eulenart die Federn und breitete seine mächtigen Schwingen nach vorn über seine Beute. Dabei schlug er unglücklicherweise dem Angekko den Helm vom Kopf. Darüber lachte Rulaman. Der Angekko machte ein bitterböses Gesicht und wollte den Vogel von seiner Schulter herunterschütteln. Aber je mehr er schüttelte, umso fester krallte sich der Uhu ein. Jetzt konnte selbst Rul kaum mehr des Lachens sich enthalten, griff rasch den Vogel bei den Ständern und setzte ihn auf Rulamans Schoß, der ihn durch Streicheln und Krauen im Nacken bald zur Ruhe brachte. Der Angekko konnte lange seine Fassung nicht wieder finden. Er war und blieb von nun an verstimmt. Alles sollte ihm, dem großen Zaubermeister, heute missglücken. Er beschloss fest, seine Höhle nicht so bald wieder zu verlassen.
Noch ernster wurde er, als ihm Rul von der Ankunft der weißen Kalats am Twobasee und von ihren Hütten erzählte. Rul plante nämlich einen förmlichen Vertilgungskrieg gegen die weißen Eindringlinge und forderte den Angekko auf, seinen Einfluss, der ihm als Zauberarzt weit und breit bei den Aimats zu Gebote stand, geltend zu machen, um diese alle unter sich zu versöhnen in gemeinschaftlicher Sache gegen die Weißen. Der Angekko antwortete ausweichend, reit abzuwarten, jedenfalls zuerst, wenn auch nur scheinbar, den Weißen freundlich zu begegnen. Vor allem müsse er seinen Gott befragen.
Rulaman hatte indessen bei aller Freude, die er genossen, eine schwere Sorge auf dem Herzen. Wo war sein Wolf? Er war verschwunden, lange ehe sie in die Schlucht heruntergekommen. Der Vater tröstete ihn, der Wolf wisse den Weg zur Tulkahöhle wohl und sei vielleicht schon zu Hause.
Endlich wurde aufgebrochen, als der Morgen tagte.
An vier dicken, mehr als mannslangen Fichtenstangen, die man nebenan im Wald gehauen hatte, wurden die großen Bärenviertel aufgehangen, jede Stange mit einem Viertel von zwei Männern, einem vorn und einem hinten, getragen. Ebenso bildeten die zwei zusammengeschnürten Tierfelle je eine Tracht für zwei Männer. Zwölf Leute wurden auf diese Art beladen und im Tragen von allen abgewechselt. Nur der Häuptling mit Rulaman und der Angekko mit dem Uhuträger waren ausgenommen.
Ein Bärenviertel bestimmte Rul für den Angekko und die Huhkaleute. Alles Übrige sollten die Tulkamänner wie billig für sich behalten.
Schwer beladen ging der Zug der Heimat zu. Rul mit seinem Sohn voran, dann die Leute und zum Schluss der Angekko mit dem Uhu.
Zunächst zog sich der Pfad durch einen dichten Tannenwald allmählich abwärts, dann an steilen Felswänden und über Steingeröllrutschen vollends hinunter. Langsam, aber sicheren Trittes, ohne eine Spur von Schwindel, hatten die schwer tragenden Männer auch diesen gefährlichsten Teil des Weges glücklich zurückgelegt, als ein prächtiges, wildes, von der Sonne beleuchtetes Felsental sich vor ihnen öffnete.
Freilich, für die Romantik der Natur hatte jenes Volk weder Sinn noch Zeit. Wir dürfen sie darum nicht geringer schätzen; denn die Sorge und harte Arbeit um die tägliche Nahrung, wie sie ihnen oblag, würde wohl auch blad in jedem von uns den Sinn für solche Betrachtungen ersticken.
Nun ging es an einem vielfach versumpften Bach, streckenweise auch durch denselben, aufwärts bis zu dessen Quelle. Diese lag in einem düsteren Waldesgrund, ein stiller, breiter Wasserkessel von unendlicher Tiefe, rings vom steilen Waldgebirge eingeschlossen und am Rand von mächtigen, alten, dunkelgrünen Eibenbäumen beschattet. Das immer kalte Wasser hatte eine düstere, schwarzblaue Farbe. Walbasee, See des Lebens, hieß dieser geheimnisvolle Teich bei den Aimats. Hier, so glaubten sie, war der Eingang in die große schöne, unterirdische Höhle, wo die Seelen der abgeschiedenen guten Menschen in ungetrübten Freuden und Genüssen unter einem großen Häuptling ewig lebten, während die der bösen in unheimlichen Nachttieren, in Eulen und Fledermäusen, ruhelos auf der Erde wandern und die Menschen schrecken mussten.
Rul machte Halt. Alle entluden sich schnell ihrer Bürde, und wie die Tiere des Waldes tranken die erschöpften, schweißtriefenden Männer mit wahrer Lust aus der kalten Flut, Rulaman voran, ohne dass ihn der sorgsame Vater abhielt. So nah stand der damalige Mensch noch der Natur, dass ihm die unmittelbare Befriedigung der natürlichen Triebe, die uns Krankheit und Tod bringen würde, nicht mehr schadete, als wenn der gehetzte Hirsch sich in einen See stürzt, um seinen Durst zu löschen und sein siedendes Blut zu kühlen.
Wie Fischottern schwammen und tauchten die Aimats in dem erfrischenden Wasser herum, setzten sich ans Ufer, um sich zu sonnen, jagten wie Kinder, ohne an die überstandenen und kommenden Strapazen zu denken, am Rand herum, auf die Bäume hinauf und wieder ins Wasser; Rulaman, den alle liebten, immer den anderen voraus.
Jetzt wurde Feuer gemacht, ein gutes Stück Bärenfleisch verzehrt, und weiter ging es frohen Mutes der Heimat zu.
Durch eine lang sich hinwindende Schlucht führte der Weg bergan. Die Schlucht war jetzt trocken, aber viel Steingeröll und Felsblöcke zeigten, dass hier im Frühjahr und bei anhaltendem Regen ein wilder Gießbach hinunterstürzte. Als sie oben auf der Höhe angekommen waren, erfrischte sie der kühle Albwind. Stundenlang wanderten sie am Rand des Gebirges und des Waldes hin. Ein Trupp wilder Pferde zeigte sich in weiter Ferne auf der Ebene, aber man dachte jetzt an keine Jagd mehr.
Doch wurde noch ein erfreulicher Fund gemacht. Ganz am Ende der öden Fläche, als sie eben wieder in den Wald einbiegen wollten, fanden sie unter einer breiten, einzeln stehenden Eibe ein totes Renntier. Es hatte schon mehrere Tage gelegen, war bereits in Verwesung übergegangen und Fleisch und Fell waren unbrauchbar. Dagegen war das herrliche Geweih immer noch von großem Wert für sie. Durch wenige geschickte Steinbeilhiebe wurde es mit dem obersten Teil der Schädelkapsel abgeschlagen. Dabei fand sich eine tiefe, klaffende Wunde im Nacken des Tieres.
„Das hat ein Albos getan oder ein Giedk“, meinte der Mann, der das Geweih abhieb, „er ist von der Eibe auf den guten Kadde herunter gesprungen und hat ihm den Hals abgebissen.
Nun lenkte man in den Wald hinein und eine Zeitlang abwärts dem Tal zu. Hier wurde der Pfad auffallend eben und schön. Er zog sich fast in gerader Linie, auf halber Höhe des Gebirges, an dessen Südseite über dem Armital hin.
„Das ist ein guter Weg“, sagte Rulaman, „warum sind nicht alle unsere Wege so gut?“
„Es ist ein alter Numbagang“, antwortete Rul. „Sie haben die schönsten Wege gehabt. Du kennst ja die Rede: Eben und glatt wie ein Numbapfad.“
„Ich habe nie ein Numba gesehen“, sagte Rulaman.
Und Rul erzählte: „Das war das letzte in unserer Nähe, das diesen Weg getreten hat. Wohl fünfzig Jahre lang ist es täglich hier gewandelt. Jedermann kannte und fürchtete es. Niemand wagte sich in seine Nähe. Es war ein böses altes, schlaues Tier, das in keine Schlinge und Falle ging. Eines Tages aber wurde es von meinem Vater in einem Schilfsumpf hier im Tal tot gefunden. Einige seiner Zähne hat die alte Parre noch unter ihren geheimen Schätzen. Ich war ein Knabe, als der Vater den mächtigen Kopf nach Hause brachte. Zwei ungeheure Hörner saßen auf dessen Nase. Das vordere war fast so hoch wie ich damals. Zwei Männer trugen den Kopf, zwei die Haut, aber diese konnte man zu nichts gebrauchen. Sie ließ sich nicht schneiden. Auch das Fleisch war hart und schlecht. Nur die alte Parre fand es gut. Aus einigen Fetzen der Haut kochte sie einen weichen, durchsichtigen Brei und aß ihn als Leckerbissen. Aus den Hörnern schabte sie das Pulver, womit sie das Blut stillt.
Du weißt, sie liebt diese alten Tiere, die noch in ihrer Jugend häufig waren und jetzt bald nicht mehr sein werden, besonders die Numbas und die mächtigen Twobas (Mammuts), die Reisen der Erde.“
Die Nallis erlegen ein Twoba
„Hast du nie Twoas gejagt?“, fragte Rulaman.
„Auch Twobas gab es früher im Armital“, erwiderte Rul. „Sie kämpften oft mit den Numbas, und dabei brüllten die Ungetüme fürchterlich. Nachher haben die Nallis, die Vettern unserer alten Parre, sie ausgerottet. Sie haben die Haut und die Hörner an Händler verkauft. Die Händler haben sie den weißen Kalats gebracht, die nach Sonnenaufgang am Langen Fluss wohnen. Dort fertigen sie schöne Dinge daraus an, die wir nicht machen können, besonders aus den großen, langen Zähnen der Twobas.“
„Aber wie konnten denn die Nallis die großen Numbas und Twobas erlegen?“
Rul antwortete: „Sie haben bei Tag, während das Numba unten im Tal im Sumpf lag, eine tiefe Grube gegraben auf seinem Pfad und sie listig mit Zweigen zugedeckt. Sie wussten wohl, dass das Numba keinen Zweig, keinen Stein, nichts auf seinem Pfad duldet. Dann lauerten sie in der Nähe. Wenn nun das Numba grunzend seines Weges kam, so schrieen sie und reizten es. In seiner Wut stürzte es auf die Zweige in seinem Weg los und auf die Männer, die jenseits der Grube standen, und fiel in diese hinunter. Aber da hat es oft lange gedauert, bis sie es töten konnten. Die Haut war so dick, dass kein Wurfspieß durchging. Oft haben sie es verhungern lassen, und es war schauerlich, wie die Tiere Tag und Nacht brüllten.“
„Aber die Twobas?“, fragte Rulaman dazwischen.
„Mit den fuchshaarigen Twobas ging es nicht leicht. Sie sind schlaue, vorsichtige Tiere und untersuchen genau den Weg, ehe sie den Fuß darauf setzen. Doch wussten die Nallis auch diese in Gruben zu locken, wenn es ihnen zufällig gelang, eines ihrer Jungen, solange es den Eltenr noch nicht überallhin folgen konnte, zu erhaschen. Dann setzten sie diese in die tiefe, mit Gezweig und Erde überdeckte Grube, und die Elternliebe trug stets bald den Sieg davon über die gewohnte Vorsicht. Das winselnde Junge zog die Alten herbei, und in der Hast, ihm zu Hilfe zu kommen, stürzten sie hinein. Unzählige Steinwürfe und Pfeile töteten dann die Alten mit dem Jungen. Meist aber jagten sie die Twobas auf andere Art. Sie legten ihnen Fußschlingen aus starken Riemen auf ihre Pfade, und wenn sich eins am Fuß gefangen hatte, beschossen sie es stundenlang mit Wurfspießen und Pfeilen. Öfters riss sich dann das Tier noch los und rannte in Schmerz und Wut meilenweit dem Wasser zu. Dort sind viele, vom Blutverlust erschöpft, untergesunken und ertrunken. Drunten im Twobasee müssen Haufen ihrer Knochen auf dem Seegrund liegen. Auch einen schlauen Schlangenmann hatten die Nallis, der manchen Twoba allein erlegte. Er sammelte das Gift von vielen Schlangen und tauchte kleine, feine Dornpfeile darein. Dann lauerte er den Twobas beim Baden auf und schoss ihnen, wenn sie brüllend in wilder Lust das Maul weit öffneten, die schlimmen kleinen Pfeile in den Rachen. Kaum merkte das Tier den feinen Stich. Doch bald schwoll von dem Gift die Zunge und der ganze Rachen an. Das Tier wälzte sich und brüllte grausig in seiner Todesangst und in kurzer Zeit erstickte es elendiglich.“
Noch vieles erzählte der Vater dem Sohn auf dem bequemen Numbapfad: Wie es früher viel kälter gewesen im Land und die Winter viel länger bei den Ahnen, und wie diese sich in dicke Wolfspelze gekleidet statt in Renntierfelle.
Dann sprach er von weißen Bären, die früher hier hausten und jetzt ganz ausgestorben waren, dass auch die Renntiere und Pferde immer seltener würden, und wie schwer es schon geworden, Wild genug zur Nahrung zu erlegen.
Weiter erzählte er ihm von den Hütten der weißen Kalats am Twobasee, die sie neulich entdeckt hatten, von deren Booten, gelb glänzenden Messern und Beilen und von ihren merkwürdigen Kleidern; dann von neuen Tieren, die man früher nicht gesehen; von großen Waldrenntieren mit runden, vielästigen Geweihen, die sich da und dort einzeln im Tal des Norgeflusses im Wald zeigten und wütend auf die Renntiere losgingen, wo immer sie sie träfen; von einem kleineren Waldrenntier, schlank, fein, großäugig, aber scheu und flink wie der Wind und von neuen Vögeln in den Gebüschen am Twobasee, die wunderbar schön sängen ganze Nächte hindurch.
Es wurde Abend, als die Männer endlich an der Quelle am Zickzackweg ankamen. Hier verabschiedete sich der Angekko mit den Seinen, nachdem er Rul noch mit Wundpulver versorgt hatte. Rul schenkte ihm das schöne Renntiergeweih und lud ihn ein zum großen Burriafest auf den nächsten Tag.
Der todmüde Angekko lehnte ab, versprach aber zur Verherrlichung des Festes eine Anzahl Männer, Frauen und Kinder herüberzuschicken.
Rulaman war vorausgeeilt und hatte mit jugendlicher Hast der alten Parre von dem großen Jagdglück Kunde gebracht. Nur von dem, was er selbst getan, sagte er nichts.
Die Männer kamen mit dem Fell des Burria. Der mächtige, blutende Kopf hing tief herab. So traten sie vor die alte Parre und legten die Last vor ihr nieder. Kaum sah die Alte die Löwenhaut, da sprang sie auf wie toll und schrie: „Das ist er, das ist er! Du Männermörder hast mir meinen Sohn gemordet!“ Sie packte den toten Kopf mit ihren dürren Fingern, schüttelte ihn und schrie und tobte und lachte wie außer sich.