Bei Grabungen entlang der künftigen ICE-Trasse sind Archäologen des Landesdenkmalamts auf Ziegelöfen aus der Römerzeit gestoßen. Sie deuten auf einen privaten Brennereibetrieb hin – eine Entdeckung mit Seltenheitswert.

 

Aichelberg. Der Bau der ICE-Trasse von Wendlingen nach Ulm gilt als zukunftsweisendes Projekt. Zunächst aber sorgt das Vorhaben noch für neue Einblicke in die Vergangenheit. Bevor die Bahn nämlich mit den Trassenarbeiten beginnt, durchkämmen Archäologen des Landesdenkmalamts die Grundstücke entlang der Autobahn systematisch nach archäologischen Funden. Bei Grabungen zwischen Aichelberg und Weilheim sind sie nun auf eine Besonderheit gestoßen: Sie haben drei Ziegelbrennöfen aus dem dritten Jahrhundert entdeckt. Einer davon ist sehr gut erhalten.
„Es muss hier einen kleinen, römischen Gewerbebetrieb gegeben haben“, schlussfolgert Dr. Andrea Neth, Referentin des Landesdenkmalamts für Trassenprojekte – eine Rarität: „Kleine, zivile Ziegeleibetriebe, die für den Verkauf produziert haben, sind sehr selten“, ordnet die Archäologin bei einer Pressekonferenz des Landesdenkmalamts den Fund ein. „Insgesamt kennen wir in Baden-Württemberg 40 Ziegeleien aus der Römerzeit“, sagt Grabungsleiter Dr. Michael Wagschal. Bei den meisten davon handle es sich aber um große Ziegelbrennereien, die in Militärlagern betrieben wurden, oder um Einzelöfen, die zu Gutshöfen gehört haben.
„Ziegel waren im Römischen Reich Grundbaumaterial“, so Andrea Neth. Sie wurden für Wand- und Fußbodenheizungen benötigt oder als Dachziegel für Steingebäude eingesetzt. Verkauft hat der Ziegeleibesitzer seine Erzeugnisse vermutlich im kleineren Stil an Siedler in der näheren Umgebung.
Dass es genau an dieser Stelle südlich der A 8 zwischen Aichelberg und Weilheim eine Ziegelei gab, wundert die Archäologin nicht. „Im Spätmittelalter war hier einen Fischteich“, sagt Andrea Neth und weist auf die weißen Teichmuschel-Reste im roten Alb­lehm hin. Sowohl für den „Aichelberger See“ als auch die Brennerei sei der Ton im Boden entscheidend gewesen. „Für eine Ziegelei brauchte man drei Dinge“, so Neth: „Schweren Ton, Holz und Wasser.“ Alles drei sei an dieser Stelle vorhanden gewesen. Noch heute fließt südlich der Grabungsstelle der „Ziegelbach“. Anhand der Funde haben die Archäologen rekon­struiert, wie der Betrieb ausgesehen haben könnte. „Eine Ziegelei war ein Saisonbetrieb“, weiß Andrea Neth. Im Herbst ging es ans Tonstechen. Danach wurden die in Holzformen und Modeln gefertigten Tonstücke zum Trocknen ausgelegt. „Dazu muss es eine Halle oder eine Überdachung gegeben haben.“ Nur im Sommer wurden Wölbziegel, Hohlziegel, Leistenziegel und Ziegelplatten in den Öfen gebrannt. Die Ware wurde anschließend auf Verkaufsflächen präsentiert. „Eine Brennerei hat jede Menge Platz beansprucht“, so Neth.
Der Brennereibesitzer hat wohl die drei Öfen parallel betrieben. „Das war recht ökonomisch“, sagt Andrea Neth. Wurde in einem Ofen gebrannt, standen die anderen Öfen zum Auskühlen, Be- und Entladen oder Reparieren bereit. Während des zweitägigen Brennens musste ein Mitarbeiter dafür sorgen, dass die Temperatur konstant blieb. Feuer gab es übrigens nur im Schürkanal, in einem „Vorraum“ des Ofens. Der Brennraum, wo die Ziegel auf einem Rost lagen, wurde von der heißen Luft erfüllt. Die Öfen stammen aus der Zeit um 250 nach Christus. Zeitlich einordnen lassen sich die Funde, weil an der Grabungsstelle auch jede Menge Porzellan aus dieser Zeit aufgetaucht ist.
Ein Wohnhaus haben die Archäologen nicht gefunden. Für Michael Wagschal nicht verwunderlich: „In einem Ziegeleibetrieb, wo immer mindestens ein Ofen geschürt wurde, hätte ich auch nicht leben wollen.“ Er vermutet, dass der Besitzer abseits in einer Villa Rustica gewohnt hat. Für möglich hält es der Archäologe auch, dass der Betreiber sich immer wieder neue Standorte für seine Brennerei gesucht hat. „Wenn die Tonvorkommen und Lagerstätten erschöpft waren, ist er weitergewandert.“ Ein Problem sei das nicht gewesen: „Das waren sehr einfache Öfen, die schnell neu errichtet werden konnten.“ Sie wurden aus Ziegeln und Ziegelresten gebaut und begannen ob der hohen Betriebstemperatur schnell zu bröckeln. Im Inneren der im wahrsten Sinne des Wortes „heißen“ Funde herrschten während des Brennens rund 1000 Grad. Gerade weil die Brennöfen recht fragile Bauwerke waren, ist es laut Michael Wagschal auch selten, dass ein intakter Ofenkomplex freigelegt werden kann. „In der Regel wurden solche Öfen relativ schnell zerstört“, verdeutlicht er den Stellenwert der Funde in Aichelberg.
Das ist auch der Grund, warum die Öfen in Kürze wieder unter der Erde verschwinden werden. „Das sind keine architektonischen Highlights“, stellt Michael Wagschal klar. So interessant die Erkenntnisse seien, die die Öfen liefern, so wenig lohne es sich, die Bauten selbst zu bergen. Lediglich ein paar Ziegel haben die Archäologen mitgenommen. Außerdem wurde die Grabungsstelle genau vermessen, fotografiert und kartiert.
Bis Mitte Dezember muss das Grabungsfeld in Aichelberg geräumt sein. Die Bahn möchte an dieser Stelle ein Containerlager für den Bau der ICE-Trasse einrichten. Die Archäologen legen über den Winter eine Grabungspause ein. „Im März geht es aber in Weilheim weiter“, kündigt Andrea Neth an